Alexander Lencses
Heimat
Seine Eltern Alexander Lencses und Mutter Theresia Graf entstammen beide Großfamilien, die seit Generationen in Dorog verwurzelt sind. Bereits 1737 siedelte sich die Familie von Theresia Graf in der ungarischen Kleinstadt an.
Flucht
Nur wenige Lebensmonate verbrachte er in der Heimat, bevor im September 1944 im Rahmen ihrer Sommeroffensive sowjetische Verbände in Ungarn einmarschierten und in die seit März 1944 von deutschen Truppen besetzte Hauptstadt Budapest eindrangen.
Die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen und Vergeltungsmaßnahmen zwangen viele Deutschstämmige vor der heranrückenden Roten Armee zu fliehen. So auch Mutter Lencses mit ihrem kleinen Sohn Alexander.
Rund 18 Monate dauerte die dramatische Flucht der beiden von Dorog über Schopron nach Wien und weiter nach Würgel / Tirol. Von dort ging es nach Kiefersfelden, Nürtingen und letztlich in die neue Heimat Unterboihingen / Wendlingen.
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges flüchteten Zehntausende Donauschwaben meist in den westlichen Teil des Deutschen Reichs. Nach dem Krieg wurden die verbleibenden Donauschwaben entrechtet, enteignet und vielfach als „lebende Reparationszahlung“ zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Etwa die Hälfte der Donauschwaben erlitten die Vertreibung aus ihrer Heimat Ungarn.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Dorog zum Zentrum des regionalen Kohlebergbaus. Bis ins 20. Jahrhundert prägte der Kohleabbau die Stadt, der 2003 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde.
Die erste Phase der Aussiedlung von rund 150.000 Donauschwaben in die amerikanische Besatzungszone Süddeutschlands begann am 19. Januar 1946. An diesem Tag verließ der erste Zug den Bahnhof Budaörs (ehemals Wudersch) bei Budapest. Jene Vertreibungen wurden im Juni 1946 durch Widerstände unterbrochen, am 8. November jedoch in Form einer systematisch organisierten Deportation wieder aufgenommen. Im Dezember 1946 stellten die amerikanischen Besatzungsbehörden die gewaltsame Ausbürgerung endgültig ein.
Zum Verlust der Heimat kamen die Erfahrungen hinzu, die Geflüchtete und Vertriebene in ihrer neuen, ebenso noch kriegsgebeutelten Heimat machten. Die hungernde und ausgebombte einheimische Bevölkerung begrüßte die Ankömmlinge selten mit offenen Armen, so dass sich viele Neuankömmlinge lange fremd fühlten.
Neue Heimat Wendlingen am Neckar
Im Juni 1946 trafen die ersten 70 Doroger in Wendlingen am Neckar ein, darunter auch Alexander Lencses mit seiner Mutter.
Um das Überleben der Familie zu sichern, bot Mutter Lencses als gelernte Schneiderin ihre Dienste in der Nachbarschaft an und konnte erste Kontakte zu den Unterboihingern knüpfen. Die Akzeptanz der einheimischen Kinder den Heimatvertriebenen gegenüber hat Alexander Lencses unterschiedlich in Erinnerung.
Auch Familie Lencses musste sich zunächst mit sehr bescheidenen Wohnverhältnissen arrangieren. Eine Freude bereiteten die Pakete ihrer Verwandten aus Ungarn, die nicht nur nahrhaften Speck sondern auch ganz besonders für Aufsehen erregendes Saatgut enthielten.
Es waren das besondere Engagement und die Eigenschaften der Doroger, die zu ihrer Integration beigetragen haben und halfen, trotz traumatischer Kriegserfahrungen in der neuen Heimat Fuß zu fassen und zum Wiederaufbau der Gemeinde beizutragen.
„Man hat eigentlich immer Kontakt gehabt zu den Einheimischen, auch zur Jugend. Sowohl im Kindergarten als auch in der Lindenschule. Dann gingen wir zur Kommunion“, erinnert sich Lencses. „Und dann kam der steile Aufstieg zum Ministranten. Das habe ich bis zu meinem 18. Lebensjahr gemacht.“
Nach der Mittleren Reife und einer kaufmännischen Ausbildung schloss Alexander Lencses ein Betriebswirtschaftsstudium an und war in der EDV tätig, zuletzt als Datenschutzbeauftragter bei Ernst & Young.
Eine Herzensangelegenheit war ihm die Verständigung zwischen Wendlingen am Neckar und Dorog, die er in verschiedenen Projekten mit nachhaltigem Erfolg auf den Weg brachte.
In Eigenleistung und bescheidenen handwerklichen Mitteln brachte er bereits 1960 eine erste Ausstellung im alten Pfarrhaus über die Geschichte der Doroger auf den Weg, die 2006, zum 60. Jahrestag der Doroger in Wendlingen am Neckar, noch einmal weitreichende Aufmerksamkeit erzielte.
Der 20. August, der St. Stephans-Tag, ist ein besonderer Feiertag, da er an die Gründung des ungarischen Staates und seiner Verfassung erinnert und entsprechend gewürdigt wird.
Alexander Lencses war Mitinitiator des Freundeskreises „Dorog-Wendlingen am Neckar“ und organisierte bis 2017 Austauschprogramme. Für sein ehrenamtliches Engagement wurde er in vielfacher Weise gewürdigt. Etwa mit der Bürgermedaille der Stadt Wendlingen am Neckar und einer besonderen Auszeichnung des Landes Baden-Württemberg.