Maria Wörner
Heimat
Noch immer denkt sie mit Liebe an ihre einstige Heimat zurück, die der südmährische Lyriker Kurt Nedoma romantisch beschrieb:
Flucht
Viele der deutschstämmigen Bewohner von Kaidling flüchteten 1945 vor den einsetzenden Gewaltexzessen der tschechischen Milizen und der Roten Armee über die nahe Grenze nach Österreich. Auch Marias Mutter bereitete die Flucht vor, packte ihren Rucksack mit wichtigen Unterlagen und machte sich mit ihrer Freundin bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg nach Österreich, um ihre Habseligkeiten dort zu deponieren. Erst im Morgengrauen kehrten sie nach Kaidling zurück.
Konnten die Menschen zunächst noch den Grausamkeiten entfliehen, setzte von Mai bis Juli 1945 die systematische Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei ein.
Wie es den Familienangehörigen erging, schreibt die Großtante von Maria Wörner in einem Brief vom August 1945:
„Wir waren gut versorgt aber die Angst saß tief im Nacken. Ich habe keine Ahnung mehr wie lange wir dort zugebracht haben.“
Wie es weitergehen soll, das wussten die Frauen nicht. Nach einigen Tagen fanden sie Unterschlupf bei Verwandten auf einem Bauernhof, bevor sie von Wien aus nach Deutschland weiter reisten.
„Mutter wollte nach Bayern der Nähe wegen zur Heimat. Man konnte einfach nicht glauben, dass das für immer der Abschied von der Heimat sein sollte.“
Neue Heimat Wendlingen am Neckar
Nach der langen Reise ins Ungewisse erreichten Maria Wörner, ihre Mutter und Großmutter Wendlingen am Neckar. Eine erste Unterkunft wurde gefunden. Die Firmen Erwin Behr Möbelfabrik und Otto Textil GmbH boten den Neuankömmlingen eine berufliche Perspektive.
Über das Rote Kreuz erhielt Maria Wörners Mutter Kenntnis über den Aufenthaltshort des Vaters, der sich in Gefangenschaft im Lager in Kolpino in der Nähe von St. Petersburg, damals Leningrad, befand. Sie schrieb ihm einen langen Brief und schilderte den schicksalhaften Verlust der Heimat, ihre Ankunft in Wendlingen am Neckar und die Schichtarbeit in der Fabrik, die sie gemeinsam mit seiner Mutter meisterte.
Zu dem versprochenen Hausbau sollte es nicht mehr kommen. Kurz nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft stirbt der Wendlinger infolge der Entbehrungen, die er erlitten hatte.
Vom Vater sollten Maria Wörner und ihre Mutter lange nichts hören, bis sie eines Tages ein Telegramm erhielten:
Maria war fast 10 Jahre alt und besuchte die Mittelschule in Nürtingen. Zu ihren Klassenkameraden gehörten auch Kinder aus Südmähren und Schlesien, die ähnliche Schicksale wie sie erlebt hatten. Doch darüber sprachen die Kinder nie.
In der fünften Klasse stand eine Jahresarbeit auf dem Lehrplan, dessen Thema die Kinder frei wählen durften.
Maria gab ihrer Arbeit den Titel „Alte Heimat“, die sie liebevoll und künstlerisch gestaltete.
Die Texte, Fotos und Zeichnungen ließ ihr Sohn zu einem Erinnerungsbuch binden.
Maria Wörner besuchte nach ihrem Realschulabschluss die Höhere Handelsschule und schloss eine Berufsausbildung als Kontoristin ab. Gerne hätte sie ihr kreatives Talent auch beruflich ausgeübt. Schneiderin wäre ein Wunschberuf gewesen, doch sprachen die Lebensumstände dagegen.
An ihrer Heimat hingen die Eltern bis zum Lebensende. Der Vater, noch immer Landwirt mit ganzer Seele, betrieb trotz seiner Arbeit in einer Wendlinger Fabrik nebenbei etwas Landwirtschaft und baute Gurken an, die er verkaufte. Erlebte ganz in seiner Erinnerung.
Die Mutter fand Arbeit als Spinnerin. Manchmal, erinnert sich Maria Wörner, habe sie sich als Kind am Pförtnerhäuschen vorbeigeschlichen um ihrer Mutter bei der Arbeit zuzusehen. Gerne ist die Mutter einer geregelten Tätigkeit nachgegangen da es auf dem Bauernhof in Kaidling nie einen geregelten Feierabend gegeben hätte. Schnell lebte sich die Mutter in ihre neue Umgebung ein, wenngleich ihr nichts über die verlorene Heimat ging. Mit Südmährern, die sich regelmäßig trafen, tauschte sie sich noch bis ins hohe Alter aus.
„Es war keine Flucht, es war wirklich eine Vertreibung. Wir durften ja nicht bleiben...“
Auch in späteren Jahren beschäftigte Maria Wörner die Frage, wie es zur Vertreibung von rund 2,9 Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei, kommen konnte.
„Ich geh schon immer noch auf Spurensuche wenn wir irgendwo sind. Doch jetzt bin ich in Wendlingen und bin hier glücklich geworden. Es ist meine Heimat.“
Eine Anekdote
Das österreichische Multitalent Peter Alexander gehörte als Sänger, Schauspieler, Pianist, Parodist und Entertainer zu den populärsten Unterhaltungskünstlern im deutschsprachigen Raum der 1950er bis 1990er Jahre.
Seine weniger ruhmreiche Schulzeit verbrachte der Wiener ungewollt in Znaim, einer Stadt nahe Kaidling, von der Maria Wörner eine amüsante Geschichte erzählen kann.